Nachdem ich in die Niederlande gezogen war, vermisste ich den Buchclub in Kyjiw, der von Tamriko Sholey ins Leben gerufen wurde - ukrainischer Schriftstellerin georgischer Abstammung. Ich habe gefragt, ob sie Einwände gegen Eröffnung eines ähnlichen Buchclubs in Amsterdam hätte. Nach Ihrer Zustimmung habe ich das erste Treffen organisiert.
Clubregeln.
Selbstverständlich waren die ersten Treffen etwas unkoordiniert: Unsere Gespräche schweiften immer wieder von dem Hauptthema zum Alltäglichen ab. Da ich aber nach jedem Treffen nach Feedback gefragt habe, haben sich schnell bestimmte Regeln herauskristallisiert.
Es wird nicht unterbrochen
Es gibt keine richtige oder falsche Meinung
Jeder hat das Recht eigene Meinung zu äußern und gehört zu werden
Jeder kann Mitglied werden, unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion, Beruf oder Status
Verbreitung der Gerüchte, unkonstruktive Kritik, persönliche Angriffe und jegliches unangemessene Verhalten führen zum Ausschluss aus dem Club
Wie laufen die Treffen ab?
Ein Treffen dauert in der Regel zwei Stunden. Zuerst schauen wir ob das gelesene Buch grundsätzlich gefallen oder nicht gefallen hat: War die Handlung spannend und die Charaktere ansprechend? Welche Emotionen hat das Buch hinterlassen? Im Anschluss kommt die 10-minütiger Pause und danach gehen wir zum psychologisch-philosophischen Teil über. Am interessantesten wird es bei einer gleichmäßigen Aufteilung der Meinungen.
Zum Schluss wird das nächste Buch vorgeschlagen. Die Meinung der Mitglieder spielt dabei eine genauso große Rolle, wie die öffentliche Rezensionen (z.B. bei GoodReads). Sollte es keine Einigkeit geben, wird es in einer geschlossenen Facebook-Gruppe über eine Online-Umfrage ganz demokratisch entschieden.
Damit es konstruktiv bleibt, lese ich diverse Kritiken und Interviews und bereite individuelle Fragen vor. Außerdem achte ich darauf, dass die Mitglieder sich an die Clubregeln halten, einander und auch das Geschriebene respektieren.
Wer sind die Mitglieder?
Unter uns gibt es Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer, IT-Spezialisten sowie Fotografen und Journalisten. Die Vielfältigkeit macht die Diskussion qualitativ und unvergesslich, denn wir ergänzen uns und beziehen alle uns bewegende Aspekte ein.
Zum Schluss
In fünf Jahren seiner Existenz hat der Buchclub mich mit einer Vielzahl toller Menschen zusammengebracht. Eine solche Konzentration an ambitionierten und gebildeten Menschen trifft man wahrscheinlich nur im Rahmen der Fachkonferenzen. Die Tatsache, dass der Club seine Aktivitäten mit nur fünf Mitgliedern begonnen hat und heute hundertvierzehn Mitglieder zählt, bringt mich zum Lächeln. Mit großer Aufregung warte ich auf das nächste Treffen.
Ich hätte nie gedacht, dass ich es sagen würde, aber der Virus hat perfekte Rahmenbedingungen geschaffen, um zu lesen, sich zu vereinen oder sich einem Club anzuschließen. Oder einen eigenen Buchclub zu erschaffen. Denn wann, wenn nicht jetzt? Denn wer, wenn nicht wir?