
„Ruthenia“: Eine Schriftart als Symbol ukrainischer Identität!
In diesem Jahr habe ich auf der Frankfurter Buchmesse zum ersten Mal von der Schrift „Ruthenia“ erfahren. Diese von Wassyl Tschebanyk entwickelte Schriftart wurde am ukrainischen Stand vom Verlag „Adef-Knyga“ präsentiert. Die Buchstaben von „Ruthenia“ sind nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern spiegeln auch perfekt den Geist der ukrainischen Sprache wider.
Wer sind die Ruthenen?
Bereits auf der ersten Seekarte von Angelino Dulcert (1325-1339) und der dritten Karte des Mittelmeers und des Schwarzen Meeres (1339) tauchen die Begriffe Rutheniam und Ruthenia in der Nähe der Dnipro-Quellen auf. In europäischen Handschriften des 11. Jahrhunderts wird „Ruthenien“ in Verbindung mit dem Fürstentum Galizien-Wolhynien erwähnt. Damals wurden die Bewohner der westlichen Gebiete der heutigen Ukraine – Wolhynien, Galizien und Transkarpatien – als Ruthenen bezeichnet.
Interessant ist, dass das Deutsch-Ukrainische Wörterbuch von 1912 den Titel Deutsch-ukrainisches (-ruthenisches) Wörterbuch trägt. Auch in „Das Sprachbrockhaus“ (1962) wird „der Ruthene“ als Synonym für „Ukrainer“ aufgeführt. Die Enzyklopädie der Ukrainistik betont, dass bis Anfang des 20. Jahrhunderts die Namen „Ruthenians, Ruthenians“ (deutsch: Ruthenen, französisch: Ruthenes und englisch: Ruthenians) zur Unterscheidung des Begriffs „Rusyns“ (Russen, Russisch) verwendet wurden.
Wassyl Tschebanyk – Ein Pionier der ukrainischen Schriftkunst
Wassyl Tschebanyk ist ein herausragender ukrainischer Grafiker, Buchillustrator und Professor. 2019 erhielt er den Taras-Schewtschenko-Preis für sein Projekt „Grafik der ukrainischen Sprache“. Seine größte Leistung ist jedoch die Entwicklung der Schriftart „Ruthenia“, die auf historischen ukrainischen Alphabeten basiert.
Die Idee zur Schrift entstand 1971 bei einem Treffen mit dem Leipziger Rektor Albert Kapr, der anregte, ein eigenes ukrainisches Alphabet zu entwickeln. Tschebanyks Inspiration fand er in Karl Faulmanns „Buch der Alphabete aller Nationen und aller Zeitalter“ (1880), in dem auch ein „ruthenisches“ Alphabet erwähnt wird.
Die Bedeutung der Schriftart „Ruthenia“
„Ruthenia“ ist ein Schriftsystem, das Tschebanyk zwischen 2000 und 2024 auf der Grundlage historischer ukrainischer Kursiv- und Druckschriften entwickelte. Tschebanyk beschreibt die Schrift als visuelles Symbol ukrainischer Identität:
“Jeder souveräne Staat hat seine eigenen Verfassungssymbole: eine Flagge, ein Staatswappen und eine Sprache. Und jede Staatssprache besteht aus zwei Teilen: der Sprachmelodie und dem visuellen Teil – dem historischen Alphabet.”
Das ukrainische Alphabet hat eine tausendjährige Geschichte. Meisterwerke wie das Ostromir-Evangelium (1056–1057) und das Peresopnytsia-Evangelium (16. Jahrhundert) wurden mit ukrainischen Buchstaben geschrieben. Das heutige kyrillische Alphabet der russischen Sprache hingegen wurde 1708 unter Zar Peter I. eingeführt und im gesamten russischen Reich verwendet – auch auf den damals besetzten Gebieten der Ukraine.
Heute sind viele staatliche Institutionen und Schilder in der Ukraine mit denselben Schriftarten gekennzeichnet, die einst zur Unterdrückung der ukrainischen Identität verwendet wurden. Tschebanyks „Ruthenia“ soll helfen, diese visuelle Verbindung zu russland zu durchbrechen und die kulturelle Eigenständigkeit der Ukraine zu betonen.


Schritte zur Verbreitung von „Ruthenia“
Die Chefredakteurin vom Verlag „ADEF-Ukraine“ Kateryna Pashchenko erzählt:
“Der globale digitale Raum erkennt die Ukraine oft nicht als eigenständigen Staat, da wir das gleiche Schriftsystem wie russland verwenden. Der Unterschied einiger Buchstaben reicht nicht aus. Mit ‚Ruthenia‘ wollen wir die ukrainische Identität im Alltag sichtbar machen. Der Verlag hat bereits mehrere Bücher mit „Ruthenia“-Schriftarten veröffentlicht, darunter „Ukrainische Mode: Von den Trypillern bis zur Glasgeneration“ von Zinaida Vasina. Für die englische Ausgabe wurde eine lateinische Version der Schriftart mit dem Namen „Diduch“ entwickelt, die auf der Frankfurter Buchmesse 2024 präsentiert wurde.
Außerdem unternimmt die NRO “InfoVARTA” alle möglichen Anstrengungen, um die Ukrainer zur Verwendung des „Ruthenia“-Alphabets zu ermutigen. Eine wichtige Maßnahme ist die dazugehörige Petition, zu deren Unterstützung wir jeden unserer Leser aufrufen. Wir nehmen aktiv an allen Initiativen teil, die zur Bekanntmachung dieses Projekts beitragen. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Verbreitung von Informationen über „Ruthenien“ und die Erklärung der Bedeutung der offiziellen Einführung eines eigenständigen ukrainischen Alphabets entscheidend dazu beitragen werden, die Umsetzung sowohl auf staatlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene voranzutreiben.
Selbstverständlich planen wir, auch in der Zukunft die Schriftarten des „Ruthenia“-Alphabets bei der Veröffentlichung unserer Bücher zu verwenden. Zudem hat Wassyl Tschebanyk seine einzigartigen Schriftarten zur freien Verfügung gestellt. Jeder kann sie verwenden, solange der Name der Schriftart in der Copyright-Angabe erwähnt wird.
Wir freuen uns besonders, wenn unsere Autoren selbst darum bitten, eine der „Ruthenia“-Schriftarten zu verwenden. Denn diese Schriften sind nicht nur äußerst elegant und stilvoll, sondern tragen auch den kulturellen Code unserer ukrainischen Identität in sich.
Lesen Sie Bücher, schreiben Sie in „Ruthenien“ und lieben Sie die Ukraine!“


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