Dmitry Schultz: Die Zahnmedizin darf ihre Menschlichkeit nicht verlieren
Dmytro Schultz' Familie mütterlicherseits stammte aus dem kleinen Ort Grosbotwar bei Ludwigsburg und war wie viele andere Deutsche gezwungen, Anfang des 18. Die Familie Schultz gründete eine Gemeinde an der Küste des Asowschen Meeres „Neues Stuttgart“ und half bei der Gründung der deutschen Kirche in Berdiansk. Trotz zweier Deportationen nach Kasachstan während der beiden Weltkriege kehrte die Familie immer wieder in die Ukraine zurück und ließ sich schließlich in Dnipro nieder. An der Medizinischen Universität Dnipro lernten sich die Eltern von Dmytro kennen. Sie studierten gemeinsam Zahnmedizin und wanderten 1991 nach Deutschland aus. Dmytro setzte die Familientradition fort und führt seit 2015 seine eigene Zahnarztpraxis, Die Dentalfamilie, in Stuttgart.
Dmitriy, warum haben Sie sich entschlossen, Ihre eigene Praxis zu eröffnen?
Davon träume ich schon seit meiner Studienzeit. Für mich ist die Zahnmedizin nicht nur ein Handwerk oder eine Medizin, sondern ein echtes Geschäft. Etwas Eigenes zu schaffen, ist sehr aufregend.
Jeder Zahnarzt hat seine eigene persönliche Vision von seiner Praxis. Wie sehen Sie Ihre?
Ich wollte schon immer meine eigene „Dental Family“ aufbauen (übersetzt aus dem Deutschen „Dentalfamilie“), wie unser Name schon sagt. In fachlicher und technischer Hinsicht erwarten unsere Patienten bereits eine hohe Professionalität von uns. Aber nicht alle Unternehmen können eine vertrauensvolle familiäre Atmosphäre zwischen Patienten und Personal schaffen. Und nichts anderes erwarte ich von dem Ort, an dem ich mein halbes Leben verbringe.
Was war die größte Herausforderung vor der Eröffnung und wie sieht es heute aus?
Im Jahr 2015 übernahm ich ein kleines Praktikum bei Feuerbach (Hinweis: Bezirk Stuttgart). Dann habe ich direkt in die neueste Technik investiert. Und wir haben alles Mögliche zusammen mit Familie und Freunden gemacht. Wir haben den Empfangsbereich von Ikea aufgebaut, alles selbst gestrichen und gespachtelt. Das Ergebnis war eine kleine, freundliche Praxis im alten Stil eines Gebäudes aus den 1950er Jahren.
Wir sind jetzt von 110 m² auf 350 m² gewachsen., und auch dieser Umzug war nicht einfach. Unsere derzeitigen Büros befinden sich in einem neuen Gebäude, und die Infrastruktur musste von Grund auf neu aufgebaut werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass 95%-Zahnärzte gegen Bezahlung von speziellen Firmen angeheuert werden, die für Architektur, Planung, Technik, Materialien usw. voll verantwortlich sind. Ihre Leistungen können Millionenbeträge erreichen. Also beschloss ich, wie schon am Anfang, alles selbst zu koordinieren, was nicht immer reibungslos funktionierte.
Das größte Problem ist jetzt, dass wir keine Zeit haben, Termine für alle zu vereinbaren. Wir haben sogar vorübergehend keine neuen Patienten mehr angenommen. Aber seit Mitte September wird ein neuer Zahnarzt, Andrii Skrypnyk, der ebenfalls aus der Ukraine stammt, unser Team verstärken.
Was ist die Philosophie Ihrer Praxis?
Ich möchte meine zahnärztliche Praxis weiterhin auf eine persönliche, vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient aufbauen. Wir leben in einer Zeit, in der die Medizin immer anonymer wird. Der Trend geht zu immer größeren Kliniken, da sie oft die einzigen sind, die die immer weiter steigenden Kosten tragen können. Dabei geht aber oft die Menschlichkeit verloren. Der Zahnarztberuf erfordert nicht nur besondere Feinmotorik und Präzision, sondern auch Sensibilität. Auch in einem „ungesunden“ Gesundheitssystem versuchen wir, die zahnärztliche Versorgung nicht nur qualitativ hochwertig, sondern auch bezahlbar zu machen.
Wie groß ist Ihr Team und nach welchen Kriterien haben Sie es zusammengestellt?
Im Jahr 2015 begannen wir mit fünf von uns. Ab September 2023 werden wir 16 sein. Die Kriterien sind harte Arbeit und der Wunsch zu lernen. Wir bilden schnell und gründlich aus. Meine Mitarbeiter übernehmen schnell Verantwortung und können selbstständig arbeiten. Am Anfang ist es sicher viel Arbeit, aber in der Praxis haben wir einige der am besten ausgebildeten Mitarbeiter in der Region Stuttgart. Wenn Sie unsere Ausbildung überstanden haben, brauchen Sie nur noch einen Sinn für Humor, um unsere Witze zu ertragen (Anmerkung des Autors - das Interview wurde im August 2023 aufgezeichnet).
Was war die größte Erkenntnis, die Sie seit der Eröffnung Ihrer eigenen Praxis gewonnen haben?
Sie brauchen ein hohes Maß an Stressresistenz und organisatorischem Weitblick. Sie sind nicht mehr nur ein Zahnarzt, sondern ein Unternehmer und ein bürokratisches Monstrum.
Was hat sich in Ihrem Berufsleben seit dem 24.02.22 geändert?
Ich werde diesen Tag nie vergessen. Ich befand mich mitten in einer Sitzung mit Architekten, Bauleitern, Ingenieuren usw. Dann unterbrachen wir die Sitzung, und ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Ich wusste, dass das, was als nächstes passieren würde, schrecklich sein würde.
Seitdem sind die Tage, Wochen und Monate wie im Flug vergangen. Ich habe meine Praxis aufgebaut, bin mit humanitären Hilfsgütern an die ukrainische Grenze gefahren und habe jeden Samstag Ukrainer ohne Aufpreis behandelt. Ich habe auch viel von meinem eigenen Geld für Hilfsfonds und -projekte ausgegeben und meiner eigenen Familie und Freunden geholfen. Das alles ging an die Grenze meiner Möglichkeiten, sowohl beruflich als auch persönlich.
Welchen Rat würden Sie zukünftigen Praxisgründern geben?
Dieser Rat wäre ein ganzes Buch wert. Kurz gesagt: Entweder Sie haben oder nehmen viel Geld und delegieren an andere Unternehmen, die Ihnen den Weg ebnen, oder Sie eignen sich das Know-how langsam selbst an, während Sie irgendwo anders arbeiten.
Auf jeden Fall ist es kein einfacher Weg)
Der Beruf des Zahnarztes erfordert nicht nur eine besondere Feinmotorik und Präzision, sondern auch Sensibilität.
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