Von einer Marke für Damen- und Militärbekleidung zu einem Textillabor
Das Gespräch mit Natalka Naida, CEO von Framiore und dem Textillabor Re:TextileGroup.
Foto: framiore.com ©
Natalka, wie war Dein Einstieg in das Geschäft?
Vor etwa fünfzehn Jahren wurde mein erstes Projekt geboren: die Lederwarenwerkstatt SHUFLIA. Damals wollte ich eine Umgebung schaffen, in welcher die Kunden den Handwerkern bei der Herstellung von einzigartigen individuellen Produkten zuschauen konnten. Bis heute bin ich fest davon überzeugt, dass der Herstellungsprozess transparent sein muss, auch für die Online-Kunden: Wo, wie und von wem wird die Ware produziert? Auf diese Weise verlieren die Produkte ihren Wert nicht so schnell, was wiederum dem schnellen Konsum und der Überproduktion entgegenwirkt. Und wenn ein Kunde den Handwerker sieht, der das Produkt für ihn hergestellt hat, entsteht eine besondere Verbindung. Da kann man das Produkt nicht mehr schnell und unbedacht wegwerfen.
Danach folgten weitere Projekte wie die Siebdruckwerkstatt „Bukvica“, oder die Architekturschule „Dribnota“,eine außerschulische Bildungseinrichtung für Kinder. Jetzt ist sie zu einer Schule für Grafikdesign und Innenarchitektur geworden.
Seit 2018 begann ich die Arbeit an der Marke „Framiore“, und 2019 haben wir das Unternehmen offiziell registriert. Heute nimmt „Framiore“ den größten Teil meiner Zeit in Anspruch. Genau wie bei SHUFLIA versuchen wir, eine transparente Produktion aufzubauen. Wir haben ein großes Fenster, durch welches jede:r den Herstellungsprozess sehen kann. In der Ukraine wird oft ziemlich viel sehr geheim gehalten, was ich selbst nicht nachvollziehen kann und nicht mag. Wir veranstalten Führungen durch unsere Produktionsanlagen und lassen Gäste zu uns kommen.
Hast Du noch nebenbei etwas Richtung Unternehmensführung oder Management gelernt?
Es gab eine Zeit, in der ich aktiv an vielen Kursen teilgenommen habe. Jetzt werde ich als Mentorin und Speakerin zu verschiedenen Programmen und Foren eingeladen, wo ich meine Erfahrungen mit anderen teile. Heute lerne ich die wichtigen, notwendigen Sachen direkt während sie passieren ― train on job, wie man schön sagt. Mit 39 kann ich gut verstehen, was mich erfüllt und was mir meine Energie raubt. Ich glaube, dass das Wichtigste für einen Unternehmer nicht die Fähigkeit ist, eine Excel-Tabelle zu bedienen, sondern das Feuer, das in dir brennt, am Leben zu erhalten. Die schwersten Kämpfe finden im Kopf statt, und der Rest sind Werkzeuge, die heutzutage sehr leicht zugänglich sind.
Ich mag die Tatsache, dass ich morgens Lust habe, aufzuwachen: Ich weiß, was ich tue, ich weiß, warum ich es tue. Ich habe nie eine existenzielle Krise wegen des Sinns des Lebens gehabt. Ich treffe Menschen, die zu Freunden werden, Menschen, von denen ich lerne, die etwas von mir lernen. Die Offenheit für Wissen, für Weisheit oder einfach für ein gutes Buch ist ausschlaggebend. Ich lese hauptsächlich Belletristik. Bücher wie „Fünf Gesetze des Erfolgs“ sollten verbrannt werden. (lächelt).
Kannst Du uns etwas über die Gründung der Marke „Framiore“ und ihre Mission erzählen?
Ich war einmal mit einem kleinen Rucksack in Asien unterwegs. Mir wurde klar, dass die Dinge, die uns umgeben, uns meist nicht glücklich machen. Stattdessen erzeugen sie eher Lärm, der uns daran hindert, uns selbst zu hören. In diesem Moment sehnte ich mich nach einem Outfit, das sowohl am Strand als auch auf Partys oder sogar bei der Hochzeit meines Freundes tragbar wäre. Diese Sehnsucht inspirierte mich dazu, eine Marke zu gründen ― als Freundin der Frauen, der Natur und derjeniger, die diese Marke erschaffen. Nach der Reise kehrte ich in die Ukraine zurück, versammelte mein Team und teilte mit, dass wir eine neue exportorientierte Marke namens Framiore gründen werden.
Bei der Gründunghaben wir uns von den Grundsätzen der nachhaltigen Produktion leiten lassen, bei der die Massenproduktion und Lagerungsprozesse nicht vorgesehen sind. Unser Konzept: Wir produzieren Kleidung aus hochwertigen, zertifizierten und recycelten Materialien her.
Warum hast Du beschlossen, Framiore auf den internationalen Markt auszurichten? Gab es im Ausland einen größeren Markt, der auf euch wartete?
Wir brauchten keinen größeren Markt, sondern einen Markt, der uns versteht. Unser Produkt hat ein einfaches Design, es ist schwierig, es durch Fotos zu verkaufen. Während meines Studiums an einem Marketing Institut in Tallinn, habe ich erfahren, dass alle Marken unterschiedliche Kollektionen für jeden Markt entwerfen. Je ärmer das Land ist, desto größer ist das Markenlogo auf der Kleidung (das ist auch in der Ukraine der Fall). Das heißt, eine Frau kauft ein Markenprodukt, um der Gesellschaft ihren Status und ihren Reichtum zu demonstrieren. Und es spielt leider keine Rolle, wie das Produkt ihr steht. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, auf unseren Kleidungsstücken keine großen Logos und Namen zu printen. Sie dürfen nicht dadurch „teuer“ aussehen. Vielmehr soll es bei Framoire um das Wohlbefinden, Harmonie mit sich selbst gehen – wir kleiden uns für uns selbst, nicht für jemanden anderen. Das würde bedeuten, dass unser herkömmliches Kleid im Wert von 250 € eher in London als in der Ukraine verkauft wird. Dies waren unsere Annahmen.
Wer sind eure Kunden?
Es sind Erwachsene, die sich für sich selbst kleiden und nicht um jemanden zu beeindrucken. Für sie ist es wichtig, Marken wie Framiore zu unterstützen: Der Kauf ist viel bewusster, als bei anderen Massenproduzenten. Unsere Kunden wollen wissen, bei wem sie gekauft haben und unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt wurden.
Wie kam es zu der Idee, Produkte für das Militär zu entwickeln?
Alles begann am 25. Februar 2022. Ich rief unsere Militärverwaltung an und fragte, wie ich helfen könnte. Sie sagten, sie brauchten Schlafsäcke für Militär. Noch am selben Tag entwickelten wir den ersten Prototyp. Später begannen wir, mit verschiedenen Stiftungen zusammenzuarbeiten.
Wir wollen nicht zu einer Art Militärmarke oder -laden werden. Das Ganze funktioniert so: Jemand aus dem polnischen oder englischen Plast (die größte Pfadfinderorganisation der Ukraine inkl. der weltweiten Diaspora – Anm. der Red.) bestellt bei uns eine bestimmte Anzahl von Schlafsäcken, bezahlt sie und gibt uns die Adressen, an die wir sie schicken sollen. Auf unserer Website kann man auch direkt einen Schlafsack für einen ukrainischen Verteidiger bestellen und bezahlen. Es ist uns gelungen, hochwertige modulare Schlafsäcke zu entwickeln. Alle unsere Entwürfe sind unter Beteiligung des Militärs entstanden. Die Schlafsäcke verfügen über wasserdichte Innen- und Außenhüllen mit gummierten Verschlüssen.
Wo befinden sich die Büros der Marke Framiore und was macht das Unternehmen jetzt?
Das Unternehmen und die Marke Framiore sind in Großbritannien registriert. Ich habe dort eine Partnerin. Vor kurzem haben wir uns auch in Belgien registrieren lassen.
Vor ein paar Tagen hatten wir ein gemeinsames Meeting zur Weiterentwicklung der Marke. Insbesondere versuchen wir, militärische und kommerzielle Produktionsabläufe zu etablieren. Außerdem bereiten wir ein Prototypenlabor vor, das in zwei Bereichen arbeiten wird. Der erste Bereich ist ein Labor für Textilmuster und Prototypen (physische Produktion), der zweite Bereich ist die Entwicklung von Funktionstextilien und Textilzertifizierung (dieser Bereich wird in der Ukraine noch nicht geregelt). Irgendwo in diesem ganzen Strudel komplexer Textilien wollen wir auch die ganz normale Arbeit an Framiore fortsetzen, denn das ist für unsere Kunden primär wichtig.
Geschrieben von Halyna Koman
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