Die Welt mit sich selbst schmücken
Das Gespräch mit Anna Momot – der Ukrainerin,
Besitzerin eines Beauty-Salons in Frankfurt-am-Main.
Eines Abends im zweiten Monat des russischen Angriffs spürte ich großen Bedarf, dringend um mich selbst zu kümmern. Ich wollte an einem Ort sein, an dem ich die Kraft hatte, zu leben und mich zu engagieren, und ich wollte mich auch in der Nähe meines Zuhauses fühlen. Als ich am nächsten Tag die Tür des Salons „Momo“öffnete und ein aufrichtiges „Dobryi vechir!“ [dt. für Deutsch „Guten Abend!“] hörte, wurde mir klar, dass ich am richtigen Ort war.
Anna Momot eröffnete ihren Salon kurz vor der Pandemie. Das Geschäft hat zwei schwierige Jahre überstanden und wächst weiter.
Wir haben uns über ukrainische Schönheitsideale und deutsches Unternehmertum sowie über die große Kraft des Glaubens an uns durch unsere Liebsten unterhalten.
Anna, wie sind Sie in Deutschland gelandet?
Ich wurde in Boryspil in einer gewöhnlichen Familie geboren. Später bin ich nach Kyjiw umgezogen. Ich bin viel durch die Welt gereist, und habe nie gedacht, jemals nach Deutschland auszuwandern. Einmal an meinem Geburtstag habe ich beschlossen, alleine eine Fernreise zu machen ― nach Sri Lanka! Und genau dort habe ich meinen zukünftigen Ehemann kennengelernt. Als leidenschaftlicher Reisender kehrte er nie zweimal an denselben Ort zurück. Aber Sri Lanka war eine Außnahme. Und beim zweiten Besuch hat er mich getroffen.
Vier lange Jahre dauerte unsere Fernbeziehung. Und als ich mich entschlossen habe, über ein Zusammenleben zu sprechen, hat er vorgeschlagen, zu ihm nach Frankfurt zu ziehen.
Verraten Sie uns, wie haben Sie sich auf die bevorstehenden Veränderungen vorbereitet?
Ich hatte sechs Monate Zeit, bevor ich umziehen musste, also habe ich einen Sprachkurs angefangen. Dann kam die Arbeitsfrage. Ich habe einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften, aber nach dem Umzug wurde mir ehrlich gesagt klar, dass ich nicht die Kraft und die Lust hatte, meine Karriere von Grund auf neu zu beginnen. Also dachte ich ernsthaft darüber nach, mit meinem Hobby, das mir in der Ukraine ein zusätzliches Einkommen bescherte, auch hier in Deutschland Geld zu verdienen. Und zwar mit Wimpernverlängerung. Ich habe das gerne an den Wochenenden gemacht und hatte genug Kunden ohne jegliche Werbung – Mund-zu-Mund-Propaganda hat funktioniert. Die Ukrainer sind irgendwie darauf eingestellt, mit vielen Ideen Geld zu verdienen.
Warum eigentlich Wimpern?
Seit meiner Kindheit liebe ich es, mit meinen Händen zu arbeiten und zu weben. Als ich nach Deutschland kam, beschloss ich, mich auf das zu verlassen, was ich sehr gut konnte. Zunächst arbeitete ich in mehreren Salons, beobachtete die Mentalität der deutschen Frauen, ihre Bedürfnisse und Ansichten über Schönheit. Ich wurde ermutigt, selbstständig zu werden, als man mir sagte, dass die Kundinnen dachten, ich sei hier die Chefin. Ich habe angefangen, mich in die Schönheitsindustrie zu vertiefen und alles mit den Augen der Kunden zu betrachten. Ich wollte einen Ort schaffen, an welchem sich jede Frau entspannen und den Abstand vom Alltag nehmen kann. In guter Stimmung ist die Welt besser.
Was waren Ihre nächsten Schritte, war es anfangs schwierig?
Zunächst habe ich ein Kleinunternehmen angemeldet, ein Zimmer gemietet, eine Social-Media-Seite registriert und ganz von vorne angefangen. Das war schwierig: Ich bin weder eine Instagrammerin noch eine Person vom öffentlichen Interesse. Also musste ich lernen, wie das alles funktioniert.
Die Bürokratie war auch eine wahre Herausforderung, die ich nur mit der Unterstützung meines Mannes gut bewältigen konnte. Dann kam noch die Pandemie dazu, die das erste Jahr nach der Eröffnung erschwert hatte. Aber eins habe ich in meinem Leben gut gelernt: Man kann und sollte in jeder, auch negativen Situation, etwas Positives sehen. Während wir also zu Hause waren und uns Sorgen über unser Leben machten, habe ich verschiedene Kurse zur beruflichen Weiterbildung und Unternehmensführung besucht und jeden Tag gelernt.
Natürlich gab es Momente, in denen ich ein wenig in Panik geriet, vor allem als die Vermieter des Büros mir mitteilten, dass sie unseren Mietvertrag nicht verlängern konnten. Eines Tages lief ich nach Hause und sah ein Schild, auf dem stand, dass ein großer Raum zu vermieten sei. Wir arrangierten schnell ein Treffen mit den Eigentümern. Natürlich war ich besorgt, vor allem wegen der bevorstehenden Ausgaben. Aber mein Mann fragte nur: „Anna, gefällt es dir hier? Wir werden es mieten!“
Dank dieser Überzeugung und der Unterstützung meines Geliebten, der in mein Start-up investierte, breitete ich meine Flügel aus und begann mit Vollgas zu arbeiten. Übrigens haben wir den Raum selbst renoviert. Mein Mann scherzt immer noch, dass er die Tage vermissen wird, an denen wir jedes Wochenende in Baumärkten verbrachten.
So fing ich an, freizuschwimmen…
In den ersten sechs Monaten habe ich allein gearbeitet und fühlte mich recht wohl. Aber als Unternehmerin wurde mir klar, dass jedes Eckchen des Salons von Nutzen sein könnte und sollte. Außerdem ist die Zeit vom großen Wert für deutsche Frauen, so dass es praktisch wäre, mehrere Dienstleistungen nicht nur an einem Ort, sondern sogar gleichzeitig zu bekommen. Also plante ich, auch Maniküre und Pediküre anzubieten. Im Februar fing der Krieg an, und die ersten Wochen waren ein Chaos, das wohl jeder Ukrainer kennt: Man weißt nicht, wie das Leben weitergehen soll. Die Frauen wurden gezwungen, aus der Ukraine nach Deutschland zu fliehen, und bereits im April habe ich mitbekommen, dass viele auf der Suche nach der Arbeit sind. Und so ging es weiter. Ich wollte unseren Frauen helfen, sich selbst zu finden. Auch wenn ich aus freien Stücken nach Deutschland kam, war es ausgesprochen schwer, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Und hier sah ich Frauen, von denen einige noch nie im Ausland waren und für die es noch anstrengender war. Ich wollte eine ukrainische Ecke einrichten, in welcher diese Frauen sich ein bisschen wie zu Hause fühlen könnten. Jetzt sind vier geflüchtete Frauen im Salon angestellt.
Haben Sie viele Bewerberinnen gehabt? Wie haben Sie Ihre Kolleginnen ausgewählt?
Alles geschah intuitiv. Ich glaube, dass wir von Menschen umgeben sind, die uns ähnlich sind. Jeder von uns hat seinen eigenen Charakter, einige der Kolleginnen waren auch vor der Flucht in der Ukraine selbstständig ― es ist sehr schwer zu akzeptieren, dass man nun wieder für jemand anderen arbeiten muss. Aber es ist passiert, und ich schaffe von meiner Seite eine Atmosphäre der Freundschaft und Harmonie von der Arbeit.
Ist es in Deutschland anders als in der Ukraine, ein Unternehmen zu führen?
Es ist egal, wo man ein Unternehmen gründet, man muss sich viel Zeit dafür nehmen. Ja, ich stehe gerne spät auf, aber ich habe jeden Tag eine To-Do-Liste: Einkäufe machen, etwas kontrollieren usw. Ich versuche, die Geschäfte so weit wie möglich zu automatisieren. Die Berichte an das Finanzamt werden von einem Steuerberater erstellt und eingereicht, obwohl auch dieser Vorgang in Zukunft automatisiert werden könnte.
Ich verbringe meine Abende zu Hause, aber wenn ich lange arbeiten muss, kann mein Mann sich ganz gut um sich selbst kümmern. Ich mag es, dass wir eine solche Partnerschaft haben und es keine Aufteilung gibt, wer was zu tun „hat“. Er ist sehr stolz auf mich!
Auch ich lerne ständig neu dazu, obwohl ich denke, dass ich in meinem Bereich schon alles weiß. Und ich rate allen, die sich in Deutschland selbstständig machen wollen, keine Angst vor den ersten Schritten zu haben, Schwierigkeiten selbstbewusst zu meistern, sich ständig weiterzuentwickeln und an den eigenen Erfolg zu glauben!
Geschrieben von Viktoriya Zagorodnikh
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