Herausforderungen für das Unternehmertum in Deutschland und der Ukraine in den kriegszeiten

Eigenes Unternehmen in den Kriegszeiten zu führen, ist nicht einfach. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie in der Ukraine oder in Deutschland leben. Als Unternehmer ist man für den finanziellen Erfolg, die geschaffenen Arbeitsplätze und zufriedene Kunden verantwortlich. Als Mensch muss man diese emotionale Kluft überwinden, in welche die ganze Ukraine und die ukrainische Diaspora weltweit gestürzt sind. Die Held:Innen unserer Cover Story teilten mit Gel[:b]lau ihre Erinnerungen an die ersten Tage des offenen Krieges, die Herausforderungen, denen sich ihr Unternehmen gegenübersah, und grundsätzlich ihre Gedanken zum Leben als Unternehmer.

Yevhenii Lesnyk ist in Stuttgart als Leiter der NGO „S.O.S. Ukraine“, die kurz nach Beginn der Großinvasion russlands gegründet wurde. Es sind noch nicht einmal zwei Tage vergangen und Yevhenii stand mit einem Lastwagen voller humanitärer Hilfe an der polnisch-ukrainischen Grenze. eitdem schickt S.O.S. Ukraine jede Woche humanitäre Hilfe. Aber Yevhenii engagiert sich nur in seiner Freizeit ehrenamtlich, hauptberuflich leitet er zwei Unternehmen.

Yevhenii Lesnyk zog 2013, kurz vor der Revolution der Würde, nach Deutschland. Und bereits 2019 eröffnete er zusammen mit seinem Partner aus der Ukraine sein eigenes Unternehmen. Die Firma HandHunter UG stellt den Gastronomiebetrieben Köche und Servicekräfte auf Basis der Arbeitnehmerüberlassung zur Verfügung. „Unser Geschäftsmodell haben wir auf dem Gesetz aufgebaut, das im Frühjahr 2020 verabschiedet wurde. Nach diesem Gesetz war die Einreise qualifizierter Fachkräfte aus Drittstaaten in die EU erlaubt. Das Gesetz wurde verabschiedet, aber der Lockdown begann“, sagt Yevhenii.

ennoch überlebte das Unternehmen und Yevhenii und seine Partner hatten die Möglichkeit, den Markt von innen zu studieren – nicht nur, um die Bedürfnisse der Kunden zu verstehen, sondern auch die notwendigen Prozesse zu beherrschen. So entstand die Idee von BlitzCatering – nun bieten Yevhenii, Ihor und Alan Catering-Dienstleistungen direkt an. Nach dem 24. Februar 2022 landeten viele Fachkräfte in Deutschland, die auch recht schnell Arbeitserlaubnis bekommen haben. Derzeit arbeiten bereits drei Ukrainer bei BlitzCatering. Tendenz steigend.

„Obwohl die Sprache in der Küche nicht so wichtig ist, da Ihor während der Veranstaltung die Abläufe in der Küche und die Kommunikation mit dem Kunden koordiniert, raten wir dennoch jedem, die Sprachkurse zu besuchen und mindestens B1 zu erreichen“, sagt Yevhenii. Denn für diejenigen, die nirgendwohin zurückkehren können oder auch nach dem ukrainischen Sieg noch planen, sich in Deutschland wiederzufinden, ist die Sprache eine Eintrittskarte in die Berufswelt.

Der Unternehmer verfügt über die Erfahrung in der Führung seines eigenen Unternehmens sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland und ist davon überzeugt, dass es trotz der weltberühmten deutschen Bürokratie immer noch einfacher ist, ein Unternehmen in Deutschland zu gründen als in der Ukraine. Man geht auf das Gewerbeamt, fühlt die Formulare aus, kümmert sich um die eventuellen Voraussetzungen und Erlaubnisse und legt los. Aber ohne Kenntnisse der Sprache und des lokalen Steuersystems lohnt sich der Versuch gar nicht erst. Außerdem ist es immer angebracht, über eigenes Risikokapital zu verfügen.

Es ist nicht einfach, zwei Unternehmen und eine gemeinnützige Stiftung zu leiten, aber Yevhenii versucht, das Beste aus der ganzen Situation zu machen. Auch wenn alle Mitglieder von „S.O.S. Ukraine“ ihre Zeit unentgeltlich einsetzen und humanitäre Hilfe kommt beinahe ununterbrochen im Lager in Stuttgart an, dennoch müssen sowohl die Helfer, als auch Logistik sowie alles andere organisiert und angeleitet werden. Hier kommt die Erfahrung eines Unternehmers zum Tragen. Darüber hinaus trägt das eigene Unternehmen dazu bei, soziale Projekte voranzutreiben und so der Ukraine zu helfen.

Ein eigenes Unternehmen, das Arbeitsplätze schafft, und ehrenamtliches Engagement darüber hinaus – das ist es, was Yevhenii von den Ukrainern in Deutschland erwartet, und er selbst geht mit gutem Beispiel voran.

Nadja Prokhorenko zog als Teenager von Jewpatorija nach Deutschland. Sie arbeitete viele Jahre als Projektmanagerin für AMG und Porsche und beschloss 2021 dank ihrer Liebe zum Backen und veganer Ernährung, ihr eigenes veganes Restaurant zu eröffnen. „Ich dachte, entweder mache ich das jetzt oder bereue ich es, das nicht getan zu haben, im Alter“, sagt Nadja.

Der Anfang war alles andere als einfach: „Energetic Life“, so heißt das Lokal, wurde im Februar 2022 eröffnet, buchstäblich ein paar Wochen vor dem Beginn der großen Invasion. Die größte Herausforderung für Nadja bestand damals darin,
qualifiziertes Personal zu finden, und das ist in Deutschland nicht nur für junge, sondern auch für erfahrene Gastronomen ein generelles Problem. Also stand die Mutter von zwei kleinen Kindern mitten in der Nacht auf und machte sich an die Arbeit, um vor der Eröffnung noch die Ware zu vorproduzieren.

„Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, nachts weinte ich und tagsüber bediente ich mit einem Lächeln meine Kunden. Ich war so besorgt um das Schicksal meiner Familie in der Ukraine, meiner Freunde und aller Ukrainer”, erinnert sich Nadja.

Die darauf folgenden Wochen lassen sich emotional mit einer Achterbahnfahrt vergleichen: Während die deutsche Gesellschaft den Atem anhielt und angesichts der kommenden Krise die Ausgaben außerhalb des Grundbedarfs nun einmal mehr hinterfragte, überquerten Hunderttausende Fachkräfte die deutsche Grenze auf der Suche nach Sicherheit. Wie es das Schicksal wollte, reichte ein Koch aus der Ukraine, der sich selbst vegetarisch ernährt, seinen Lebenslauf bei Energetic Life ein. Ein wenig später veröffentlichte Nadja eine Anzeige in der ukrainischen Facebook-Gruppe und aktuell arbeiten bereits zehn Personen aus der Ukraine für sie.

„Ich bewundere diese Menschen so sehr! Sie verloren alles und mussten ihr Leben von vorne beginnen. Dennoch sind sie voller Positivität, Motivation und Leidenschaft für die Sache. Sie schaffen es auch, nebenbei Deutsch zu lernen“, spricht junge Unternehmerin voller Stolz über ihre Mitarbeitenden.

Nadja gibt zu, dass es selbst in Deutschland in den Kriegszeiten nicht einfach sei, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Dennoch rät sie, keine Angst zu haben und ihren Traum entschlossen zu verfolgen. Denn für sie ist Energetic Life nicht nur ein Geschäft, sondern auch eine Chance, sich kreativ und als Person weiterzuentwickeln: „Diese Welt ist grausam genug. Die Krisen gab es in jedem Jahrhundert und jedem Jahrzehnt. Aber mit meiner Arbeit versuche ich, die Welt meiner Kundschaft ein wenig freundlicher zu machen”.

Mehr als 3.000 km von Stuttgart entfernt, in der ukrainischen Großstadt Dnipro, reagiert der Unternehmer Denys Hladniow blitzschnell auf die Herausforderungen des vom Krieg geprägten Alltags. 2015 überlegte Denys, was er seinem Sohn zum Essen geben möchte, das lecker und gleichzeitig auch gesund und von guter Qualität wäre. So entstand „Ekoferma“ – eine Ladenkette, die ihren Kunden Bio-Produkte von lokalen Produzenten anbietet. Diese werden sorgfältig ausgesucht und es wird sichergestellt, dass die Hersteller die Qualitätsanforderungen von „Ekoferma“ erfüllen.

In den acht Jahren des Bestehens baute Denys ein stabiles Lieferantennetzwerk und einen zuverlässigen Mitarbeiterstab auf, und vor Beginn der groß angelegten Invasion zählte „Ekoferma“ über elf Filialen und einen Online-Shop. Doch in den ersten Kriegstagen änderte sich die Situation erheblich.

Das erste Problem, das gelöst werden musste, war das Personal. „Wir beschäftigen überwiegend junge Frauen Mitte zwanzig. Ich hatte Verständnis dafür, dass sie Angst hatten. Also habe ich auch nicht versucht, sie davon abzuhalten, ins Ausland zu fliehen. Aber mit der Zeit kamen einige zurück“, sagt Denys. Ende März 2022 kam die nächste Krise — das Mehl war aus. Die Preise verdoppelten sich fast, da alle Lager ausverkauft waren und ob es Nachschub geben würde, blieb eine große Frage. „Ekoferma hat eine eigene Konditorei und dementsprechend einen strategischen Mehlvorrat. Also fingen wir an, das Mehl in kleine Portionen zu wiegen und ein einfaches Weißbrot zu backen“, erinnert sich der Unternehmer. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, denken, dass dieses Brot in den Regalen der Filialen zum Verkauf gelandet ist, dann haben Sie fast Recht. Dieses Brot wurde von den Mitarbeitenden von Ekoferma kostenfrei an Bedürftige verteilt. Ebenso im Winter, als es drei Tage lang nirgendwo in der Stadt Strom gab, durften die Ladenbesucher kostenfrei ihre Handys aufladen und eine Tasse heißen Tee trinken.

Rückblickend auf den letzten Winter können wir sagen, dass Denys‘ Team relativ viel Glück hatte, denn er kaufte die ersten Stromgeneratoren noch bevor sie zu der am meisten begehrten Ware wurden. Dennoch war es kaum möglich, auf jenen Winter vorbereitet zu sein.

„Jeder Parkwächter wurde zu einem Kategoriemanager im Bereich Stromgeneratoren, ein Modell, das einst nicht mal 200 € kostete, wurde für das Fünffache angeboten. Wir haben viele Milchprodukte im Sortiment, die wären schlecht geworden, also mussten wir diese spöttischen Preise bezahlen“, sagt Denys mit einem Lächeln. Als sich die Situation zuspitzte, verlegte er sein Großlager in sein eigenes Haus, damit er leichter dafür sorgen konnte, dass die Gefrier- und Kühlschränke ohne Unterbrechung funktionierten.

Es gab jedoch nicht immer ein Happy End. Einer der wichtigsten Lieferanten von „Ekoferma“, Hersteller der Milchprodukte „Stepovy“, befindet sich im Dorf Sapowitne der Region Saporischschja, die derzeit leider unter der russischen Besatzung ist. Sein Vorsitzender, Anatolii Volkov, übernahm 1995, unmittelbar nach der Umstrukturierung des die Unternehmensleitung und hat es im wahrsten Sinne des Wortes zum Vorbild dafür gemacht, wie die Landwirtschaft in der Ukraine und vielleicht auch in der Welt aussehen sollte. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie Sapowitne damals aussah“, sagt Denys voller Begeisterung. „Man fährt auf der Landstraße und plötzlich beginnt eine Art Paradies. So ein wunderschönes Dorf, wie in einem Film. Du musst unbedingt über Herrn Volkov schreiben! Er hatte buchstäblich die gesamte Gemeinschaft auf die Beine gestellt. Nur fiel sie leider unter die Besatzung.“ In den ersten Kriegsmonaten versuchte „Stepovy“ noch, Produkte an „Ekoferma“ zu liefern, doch seit Juni 2022 gab es keine Lieferungen mehr. Im August 2022 starb Anatolii Volkov.

Trotz Schwierigkeiten mit den Lieferanten und der Logistik geht „Ekoferma“ keine Kompromisse bei der Produktqualität ein. Derzeit sind noch acht der elf Filialen übrig, der Online-Shop wird aktuell komplett überarbeitet mit dem Ziel, die Lieferbarkeit der Produkte in der neuen Realität wieder zu ermöglichen und auch daran anzupassen.

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